Familie Haas

Martina und Max leben mit ihren beiden Kindern Leo und Tim in Kitzbühel, Österreich. Ihr Sohn Tim (4,5 Jahre) lebt seit 2,5 Jahren mit der Diagnose Emery-Dreifuß-Muskeldystrophie. Diese Gen-Mutation ist bei Tim spontan entstanden und wurde nicht vererbt. Leo, sein jüngerer Bruder, trägt diese Mutation nicht.

Steckbrief Familie

Vornamen Mutter/ Vater: Martina und Max
Wohnort: Kitzbühel, Österreich. Nach Tims Diagnose sind wir in eine Wohnung ins EG umgezogen.
Name und Alter des Kindes: Tim, 4,5 Jahre
Genaue Diagnose: Emery-Dreifuß-Muskeldystrophie
Geschwister: Leo (1,5 Jahre)

 

Fragebogen

Wann und wie hast du gemerkt, dass dein Kind anders ist? Erinnerst du dich an deine Gedanken dazu?
Tim war, seit er auf die Welt gekommen ist, ein eher weinerliches Baby, das viel Aufmerksamkeit verlangte. Wir dachten uns die ersten paar Monate allerdings nichts dabei und waren froh, einen gesunden Jungen bei uns zu haben. Er erreichte alle motorischen Meilensteine gerade noch im Normalbereich (Sitzen mit 8 Monaten, Krabbeln mit 11 Monaten, freies Gehen mit 18 Monaten). Das Erlernen des Krabbelns fiel ihm allerdings am schwersten. Mit ca. 9 Monaten wollte er unbedingt krabbeln und war total frustriert, dass es nicht klappte. Er raunzte sehr, sehr viel in dieser Zeit. Er kam mit ca. 18 Monaten in die Kinderkrippe und entwickelte sich im motorischen Bereich im Vergleich zu seinen Alterskollegen einfach langsamer. Was uns im Hinterkopf am meisten beschäftigte war, dass er, egal mit welchen Lockmitteln (Gummibärchen und Co.), einfach keine Treppen nach oben steigen konnte. Mit knapp über 2 Jahren ließ uns der Gedanke, dass da doch mehr dahinterstecken könnte, nicht mehr los und wir suchten nach Antworten.

Der Gedanke, dass Tim anders ist, ist ein allgegenwärtiger. Er begleitet uns tagtäglich: Er hat andere Bedürfnisse und andere Fragen als die anderen Kinder im Kindergarten. Und das macht uns als Familie natürlich auch anders – unsere Prioritäten haben sich verändert. Seit Tims Diagnose befinden wir uns alle irgendwie auf dem Weg, Anderssein als etwas Gutes, ja sogar als Chance zu zeigen. Und irgendwie zu verdeutlichen, dass Tim auch gleich ist, wie die anderen.

Wann und wie wurde die Muskelerkrankung festgestellt? Was waren deine spontanen Gedanken?
Da wir merkten, dass Tim keine Treppen steigen konnte, er einen watscheligen Gang hatte und oft hinfiel, machte ich einen Termin bei einem Orthopäden. Ich hatte insgeheim die Vermutung, dass Tim wegen einer familiären Anlage irgendetwas an der Hüfte oder am Becken hatte. Der Arzt schickte uns jedoch nach einer kurzen Untersuchung wieder weg und gab mir den Rat, unser Kind nicht mit Gleichalterigen zu vergleichen und bis zum Kindergarteneintritt einfach ab-zuwarten. Das beruhigte uns erstmal. Eine gute Freundin von uns ist Physiotherapeutin und Osteopathin. Sie war es, die den ausschlaggebenden Hinweis gegeben hat, dass es vielleicht doch besser wäre, wenn wir bei unserem Kinderarzt, der auch Neuropädiater ist, vorstellig wer-den würden. Auch da dachte ich noch an eine Hüftfehlstellung. Erst als er Tim Blut abnahm, um seinen CK-Wert zu bestimmen, wurde ich stutzig. Er sagte, dass Tim leider sehr auffällig wäre. Erst zu Hause googelte ich den Begriff des CK-Werts gemeinsam mit Tims Symptomen und kam sofort auf Duchenne MD. Ich brach heulend zusammen und sagte sofort meinem Mann Bescheid. Die folgende Nacht war die bisher schlimmste Nacht in unserem Leben. Nie hätten wir damit gerechnet, dass Tim eine scheinbar tödliche Krankheit, ohne Aussicht auf Heilung hatte. Am nächsten Tag in der Früh, rief uns der Kinderarzt an und teilte uns mit, dass der CK-Wert erhöht war und wir einen Spezialisten in Innsbruck aufsuchen sollten. Ich sollte hier noch erwähnen, dass ich im 7. Monat mit unserem zweiten Sohn schwanger war und die Diagnose sehr wohl auch Auswirkungen auf ihn haben hätte können. Der Neuropädiater in der dortigen Klinik sagte beim ersten Treffen, dass er Duchenne aufgrund des dafür zu niedrigen CK-Wertes ausschließen könne und ordnete einen Gentest an. Wir waren irgendwie erleichtert und zugleich aber auch ängstlich darüber, wie Tims Diagnose aussehen würde. Nach ein paar Wochen erhielten wir dann die Diagnose EDMD. Nachdem auch bei uns Gentests durchgeführt wurden, fanden wir heraus, dass Tims Mutation spontan entstanden war und er somit diese nicht von uns geerbt hatte.

Inwieweit ist dein Kind eingeschränkt? Und welche Hilfsmittel nutzt es?
Tim hat Probleme, mit allen Tätigkeiten, die Kraft erfordern. Es fällt ihm schwer, vom Boden aufzustehen, Dinge aufzuheben, Distanzen über 200m zurückzulegen, Kleidung an- und auszuziehen, die Arme über den Kopf zu heben, auf ein Klettergerüst zu steigen, etc. Er kann keine Treppen steigen, nicht hüpfen, nicht laufen, usw. Wir haben einen Reha-Buggy für Spaziergänge, einen Haltegriff im WC und seit Kurzem benutzt Tim Greifzangen, um Dinge vom Boden aufzuheben. Es kann sein, dass er in naher Zukunft Nachtlagerungsschienen zum Hinauszögern von Kontrakturen der Achillessehne braucht. Im Herbst werden wir voraussichtlich einen Assistenzhund für Tim als emotionale und physische Stütze bekommen.

Wie habt ihr die Kinderbetreuung organisiert? Unterstützen euch zusätzliche Kräfte im Alltag?
Tim geht an fünf Vormittagen pro Woche in eine Integrationsgruppe des lokalen Kindergartens. Er hat nachmittags Therapien: Frühförderung, Physiotherapie, Ergotherapie und Reittherapie. Tim fühlt sich im Kreise unserer Familien sehr wohl.

Wie blickt ihr als Familie in die Zukunft? Was erhofft ihr euch von der medizinischen (Gen-)Forschung?
Wir blicken sehr hoffnungsvoll in die Zukunft. Durch Tims Diagnose haben wir gelernt, jeden schönen Moment in der Gegenwart zu genießen. Eine Psychologin sagte uns einmal, dass wir versuchen müssten, unser Bild von uns als Familie in der Zukunft immer neu zu erstellen und anzupassen. Wir denken, dass sich die Wissenschaftler auf einem sehr vielversprechenden Weg befinden und freuen uns auf Fortschritte mit CRISPR.

Wie geht dein Kind mit seiner Krankheit um? Sprecht ihr offen über das Thema?
Wir versuchen möglichst offen mit Tim über seine Einschränkungen zu sprechen. Er vergleicht sich immer wieder mit den anderen Kindern und kommt dann mit Fragen zu uns. Es macht Tim gelegentlich schon traurig und teilweise auch wütend, wenn er sieht, dass er nicht mithalten kann. Es gibt auch Phasen, in denen er und wir seine Krankheit verdrängen und uns ehrlich gesagt auch wohl dabei fühlen.

Was macht dein Kind besonders gerne?
Tim redet sehr gerne und sehr viel, er liebt es, aus Büchern vorgelesen zu bekommen, Unsinn zu machen und fernzusehen. Er ist sehr gerne in der frischen Luft, begeistert sich für die Natur und darf als Wasserratte bezeichnet werden. Er ist ein ausgezeichneter und aufmerksamer Beobachter und hat ein sehr gutes Gedächtnis.

Was wünschst du dir für dein Kind?
Ein möglichst schmerzfreies, selbstbestimmtes Leben, gute Freunde und die Aussicht auf medizinische Meilensteine, die sein Leben verbessern werden.

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